Interview Patric Leitner: „Beim Rodeln muss man das letzte Hemd geben, um vorne zu landen“

Patric Leitner, Bundestrainer, Deutschland, Rodeln

Berchtesgaden (FIL/24.10.2024) Der neue Cheftrainer der deutschen Rodelmannschaft, Patric Leitner, blickt voller Vorfreude auf seine erste Saison an der Spitze des Teams. Die vorolympische Rodelsaison 2024/2025 steht bevor, und Leitner, der das Amt von Norbert Loch übernommen hat, ist hochmotiviert. „Ich freue mich wahnsinnig, das ist eine sehr reizvolle Aufgabe und ich bin bereit“, sagt der Olympiasieger von 2002.

Sein Weg zurück in den Traineralltag war jedoch alles andere als einfach. Nach einem komplizierten Beinbruch im Januar, der ihn zu zwei Operationen und 16 Wochen Reha zwang, ist er nun wieder fit und bereit, sein Team erfolgreich in die kommende Saison zu führen. Wir haben mit Patric Leitner über seinen Neustart, die bevorstehenden Herausforderungen und seine Erwartungen für die Saison gesprochen.

Herr Leitner, wie fühlen Sie sich, so kurz vor ihrer ersten Saison als neuer Cheftrainer des deutschen Teams?

Patric Leitner: „Am Anfang hatte ich schon ein paar schlaflose Nächte, denn es fühlt sich nach wie vor noch ein bisschen ungewohnt an. Aber man wächst ja mit der Aufgabe und mittlerweile geht es gut. Es ist schon sehr viel Verantwortung. Doch ich habe ein zuverlässiges Team hinter mir. Es wird viel im Team kommuniziert und das ist mir sehr wichtig. Ich bin mir sicher, dass wir im Team die Saison rocken werden!

Ihr Start war ein wenig holprig, weil Sie sich im Januar, während der ITW in Altenberg beim Badminton das Bein gebrochen hatten. Wie war der Weg zurück und dann auch noch an die Spitze der deutschen Mannschaft als Cheftrainer?

Patric Leitner: „Der Weg war hart. In meinem Bein war alles kaputt: Das Schien- und das Wadenbein waren gebrochen und das Sprunggelenk total zerstört. Das erste Mal bin ich dann in Dresden operiert worden. Mein Bein war danach im Fixateur. Ein schreckliches Ding. Ich musste in München ein weiteres Mal bei unserem Teamarzt Florian Dreyer operiert werden und durfte 16 Wochen nicht auftreten, habe schließlich zu Hause auf der Couch geschlafen. Mit den Krücken kam ich gar nicht über die Treppe ins Schlafzimmer. Meine Frau Jeanette musste mir alles bringen. Ich war total abhängig und psychisch auch angeschlagen, wenn alle anderen bei schönem Wetter draußen Sport treiben konnten und ich wochenlang auf der Couch lag. In der Reha musste ich dann das Gehen wieder lernen. Zum Glück haben wir beim BSD ein großartiges Netzwerk mit Ärzten und Physiotherapeuten. Mein Ziel war es, bis zum Trainingslager am Gardasee im Juni wollte ich wieder gehen können.“

Und ist es gelungen?

Patric Leitner: „Ja, es war super. Nach 16 Jahren haben wir am Gardasse wieder das erste Sommer-Trainingslager gemeinsam mit dem ganzen Team durchgeführt. Ziel war es, gemeinsame Grenzerfahrungen zu machen, sich gegenseitig zu unterstützen und als Team zusammen zu wachsen. Wir haben Klettersteige absolviert, uns beim Canyoning versucht und sind viel gemeinsam mit dem E-Bike gefahren. Es war superschön und hat uns als Team zusammengeschweißt. Mir war wichtig, dass jeder jedem hilft und alle zusammenhalten. Das habe ich mir für unsere Mannschaft als Ziel auf die Fahnen geschrieben. Ich möchte unser Team aus ganz Deutschland zusammenbringen!“

Patric Leitner, BSD

Wie ist die Vorbereitung gelaufen? Sind alle Leistungsträger vor der Saison gesund und fit?

Patric Leitner: „Alle sind gut über den Sommer gekommen und gesund geblieben. Wir haben im Athletiktraining dieses Jahr eine Umstellung vorgenommen und wieder mehr Umfänge am Start trainiert. Wir hatten einige Technikblöcke. Das war gut. Wir wollen das beibehalten, weil man eine Entwicklung sieht. Beim Rodeln wird es immer härter. Viele Nationen arbeiten sehr professionell und sind inzwischen athletisch stark. Die Konkurrenz schläft nicht und das ist für den Sport gut und macht das Rodeln international interessanter. Aber wir müssen auf jeden Fall gut arbeiten und uns athletisch auch verbessern, um weiter am Ball zu bleiben. Wir freuen uns auf spannende Rennen.“

Ist die Konkurrenz international in den letzten Jahren stärker geworden?

Patric Leitner: „Auf jeden Fall! Der Rodelsport hat sich extrem entwickelt. Die Konkurrenz ist international sehr stark. Man muss immer voll performen und das letzte Hemd geben, wenn man vorne landen möchte. Bei den Männern im Einzel ist es das härteste Geschäft. Da sind international so viele starke Athleten dabei. Aber dadurch ist es auch schön anzusehen und jede Woche aufs Neue spannend.“

Vor zwei Jahren ist durchgesickert, dass sie ein besonders lukratives Angebot aus dem nahen Ausland hatten. Warum haben sie das abgelehnt?

Patric Leitner: „Man weiß, ich brenne für den Sport und für unsere Sportler. Das Angebot war sehr gut, aber ich habe dem BSD (deutscher Verband) viel zu verdanken und mir hängt viel an unseren Sportlern. Letztendlich wollte ich in Deutschland weiter machen. Dass wir als Team agieren, ist mir besonders wichtig.“

Jeanette und Patric Leitner, Hochzeit, Foto: privat

Was sagen Ihre Frau und Ihre Kinder dazu, dass Sie jetzt Cheftrainer sind?

Patric Leitner: „Meine Frau Jeanette hat gesagt: 'Das schaffst du schon!' Sie hatte nie Zweifel daran und letztendlich zählt, dass ich vorher auch schon immer unterwegs war als Trainer. Das wird jetzt auch nicht mehr werden. Luis ist 15 und Leni ist 10 Jahre alt. Sie haben sich gefreut, dass ich in Deutschland geblieben bin und nicht Trainer im Ausland geworden bin. Was der neue Job bedeutet, das wissen sie nicht und ist ihnen auch noch egal.“

Sie waren vorher der Athletiktrainer am Stützpunkt Berchtesgaden-Königssee. Wie geht es dort jetzt weiter? Gibt es einen Nachfolger?

Patric Leitner: „Bis 2026 möchte ich die Athletik noch weiter machen. Normalerweise hätte ich ja mit Norbert Loch getauscht. Er ist jetzt für den Stützpunkt in Berchtesgaden-Königssee zuständig. Aber ich habe mit meinen Athleten jetzt so lange zusammengearbeitet. Das möchte ich bis zu den nächsten Olympischen Spielen noch weiter machen. Ich möchte auch mit der gesamten Mannschaft athletisch neue Wege gehen. Ich habe im Sommer schon getrennte Damen- und Herren-Trainings eingeführt. Die Sportler merken jetzt, dass alles dasselbe machen und nicht unterschiedlich an den verschiedenen Stützpunkten trainiert wird. Sie können sich besser messen und auch zusammenarbeiten. Die Stimmung bei den Lehrgängen im Sommer war so gut wie noch nie. Alle Damen und alle Herren kommunizieren miteinander. Es gibt spezifische Trainings in kleinen Gruppe, bei denen wir auf jeden individuell eingehen. Mir ist wichtig, dass das Team funktioniert und da muss ich auch selbst als Trainer mit ihnen arbeiten und nicht im Büro sitzen. Bei so vielen Menschen wird man es nicht immer jedem recht machen können, darum freue ich mich immer über das Feedback der Sportler und nehme das gerne an, wenn sie Änderungen vorschlagen.“

Wie werden Sie ihr Weltcup-Team nominieren?

Patric Leitner: „Es sind vier Selektionsrennen für die Weltcup-Mannschaft geplant, niemand ist gesetzt für den Weltcup, alle müssen durch die Quali und die erste findet am 25. Oktober in Sigulda statt.“

Ist das ein neues Konzept? Früher wurden die Weltcup-Qualifikationen doch meist auf den deutschen Bahnen gefahren, außer eine WM- oder Olympiabahn stand schon im Oktober oder November zur Verfügung.

Patric Leitner: „Wir fahren insgesamt vier Selektionsrennen und fangen in Sigulda an, weil es dort schon Eis gibt. Die Bahnen in Deutschland werden später als früher vereist, um dem Klimawandel Rechnung zu tragen. Danach gibt es noch auf den drei deutschen Bahnen jeweils ein Qualifikationsrennen für den Weltcup. Jeder Athlet kann ein Rennen streichen. Die drei besten Ergebnisse kommen in die Wertung.“

Welche Athletinnen und Athleten werden in Sigulda beim ersten Selektionsrennen antreten?

Patric Leitner: „Wir haben ein sehr großes Team dabei in Lettland. Auch die besten Junioren und das B-Team sind dabei. Insgesamt sind wir dann 28 Athleten in Sigulda. Ich möchte jedem die Chance geben dabei zu sein. Es ist wichtig, dass alle die gleichen Bedingungen haben. Die Jungen lernen von den Erfahrenen. Das ist ein neuer Ansatz, aber das ist mir wichtig und beim Trainerrat hat das ganze Team der Trainer mitgezogen und gemeinsam beschlossen. Bis Weihnachten haben wir das B-Team dann auch im Weltcup dabei. Sie fahren die Nationencups in Lillehammer, Igls und Oberhofmit. Ich finde es wichtig, dass diejenigen, die sich nicht für das Weltcupteam qualifizieren, auch im Nationencup internationale Erfahrung sammeln können. Sie können sehen, wo sie stehen und sind in das Team integriert. Das war mein Wunsch. In der zweiten Hälfte der Saison und vor allem wenn es nach Übersee geht, gibt es dann wieder unser B-Team auf den deutschen Bahnen. Da heißt es dann wieder Umfänge fahren.“

Sie waren Anfang Oktober auch schon eine Woche in Lillehammer, das war aber noch kein offizieller Lehrgang ihres Teams. Trotzdem haben Sie erste Eindrücke gewonnen. Wie haben sich die beiden „neuen“ Doppel Dajana Eitberger/Magdalena Matschina bei den Damen und Toni Eggert/Florian Müller bei den Herren geschlagen?

Patric Leitner: „In Lillehammer waren die Bedingungen super. Das Eis war sehr gut. Wir hatten allerdings noch keinen offiziellen Lehrgang. Das Einfahren auf Eis wurde von den Landesverbänden organisiert und finanziert.
Dajana und Magdalena sind gut gefahren in Lillehammer, sie verstehen sich sehr gut und hatten Spaß zusammen.

Toni Eggert und Florian Müller sind bis in die Haarspitzen motiviert. Natürlich müssen sie sich noch finden, aber am Start sind sie schon sehr gut und wenn sie in der Bahn treffen, sind sie auch sehr schnell. Es ist schön, dass wir wieder drei starke Doppel haben. Das gibt allen einen Schub, auch für die Tobis (Wendl/Arlt) und Hannes Orlamünder und Paul Gubitz ist das spitze.“

Zu Patric Leitner:

Patric Leitner und Alexander Resch, Foto: BSD

Der 47-jährige Patric Leitner aus Marktschellenberg im Berchtesgadener Land trat im Mai 2024 die Nachfolge des langjährigen Bundestrainers Norbert Loch an. Damit trat er in große Fußstapfen. 22 Olympia- und knapp 100 WM-Medaillen hat Loch mit seinem Team gewonnen.

Seit der Saison 2010/2011 ist Leitner als Rodel-Trainer tätig. Zuerst an der Bundespolizei-Sportschule in Bad Endorf und später beim Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) als Athletiktrainer für Bayern und die Nationalmannschaft.

Sportliche Erfolge:

Gemeinsam mit Alexander Resch hat das Duo Leitner / Resch im Doppelsitzer sieben Gesamtweltcup-Siege geholt (1999/2000, 2001/02, 2003/04, 2005/06, 2006/07, 2007/08 und 2009/10) und stand außerdem noch fünfmal beim Gesamtweltcup auf dem Podium. Gesamt verzeichnen die beiden Bayern 34 Weltcupsiege, waren viermal Weltmeister im Doppel und wurden 2002 Olympiasieger in Salt Lake City und holten zum Karriereende 2010 Olympia-Bronze in Vancouver.

Vielen Dank Patric Leitner!

Fotos: privat und BSD