Interview Norbert Loch: „Eine Mannschaft zu führen, das ist mein Leben!“
Berchtesgaden (FIL/26.02.2024) Im Rahmen der FIL Rodel Weltmeisterschaften 2024 in Altenberg wurde der Wechsel an der Spitze des deutschen Rodelteams bekannt. Der langjährige deutsche Rodel-Bundestrainer Norbert Loch wird nach der Saison das Zepter weiter geben an seinen 46-jährigen Nachfolger Olympiasieger Patric Leitner.
Zum Abschied hatte das Team von Norbert Loch, der seit dem Jahr 2008 die deutsche Rodelmannschaft führt, die 97. WM-Medaille und das 44. Gold gewonnen. Bei Olympia holten die Loch-Schützlinge insgesamt 22 Medaillen (13 Gold-, fünf Silber- und vier Bronzemedaillen).
Wir haben vor dem letzten EBERSPÄCHER Weltcup in Sigulda mit dem scheidenden Cheftrainer von Team Deutschland gesprochen:
Herr Loch, herzlichen Glückwunsch zu einer beeindruckend erfolgreichen Karriere als deutscher Rodel-Cheftrainer. Welches Gefühl überwiegt bei Ihnen? Wehmut oder Vorfreude auf das Neue?
Norbert Loch: „Beides – es herrscht Freude aber auch ganz klar Wehmut. Nach 16 Jahren als Cheftrainer, zuvor 16 Jahren als Landestrainer und vorher acht Jahren als Jugendtrainer muss ich sagen: Das ist mein Leben! Das macht einfach Spaß! Egal ob du eine deutsche Nationalmannschaft leitest oder ob du eine Juniorenmannschaft führst oder mit Kindern arbeitest, es hat mir immer großen Spaß gemacht. Das ist mein Leben, eine Mannschaft zu führen, Athleten zu betreuen, Höhen und Tiefen zu erleben, Schlitten technisch voranzubringen und vieles mehr. Das ist mein Leben, meine Freude und mein Spaß und deshalb ist natürlich Wehmut dabei, wenn du diese Tätigkeit ablegst. Aber auch Freude ist dabei, weil es sehr, sehr schöne Jahre waren, mit allen Höhen und auch allen Tiefen, allem Leid das es auch gab. Aber die Höhen und die schönen Seiten haben überwogen und das sind nicht nur die Medaillen und Erfolge, sondern in erster Linie die Freude, mit Menschen zu arbeiten. Jetzt ist das zu Ende.“
Wie geht es nach der Saison für Sie weiter? Als Rentner können wir uns Sie nicht wirklich vorstellen…
Norbert Loch: „Ich werde zunächst einmal meinen Kollegen und Nachfolger Patric Leitner, der ja jetzt leider verletzt ist, unterstützen. Ich möchte ihm helfen und zur Seite stehen. Ich brauche ihm nicht sagen was er zu machen hat. Er soll und wird natürlich seinen eigenen Weg gehen, aber ich werde ihm administrativ noch etwas zur Seite stehen und in der Vorbereitung der nächsten Saison helfen. Patric wird dann natürlich die nächste Saison in Verantwortung selbst leiten.
Aber der Hauptteil meiner zukünftigen Arbeit wird sein, dass ich in Berchtesgaden die Stützpunktleitung und das Management für die Sportarten, Bob, Rodeln und Skeleton übernehmen werde.“
Wann soll dieser Wechsel offiziell erfolgen?
Norbert Loch: „Wir haben uns mit dem Vorstand auf das späte Frühjahr als Arbeitsbeginn am Stützpunkt vorbereitet. Ende Mai könnte dann die offizielle Übergabe stattfinden. Die Trainer vor Ort in Berchtesgaden, im Jugend- und Nachwuchsbereich, brauchen auch eine Bundesstützpunktleitung, das ist wichtig. An allen anderen Stützpunkten gibt es diese bereits. Wir beginnen hoffentlich demnächst den Umbau unserer Bahn am Königssee und haben bald die Wiedereröffnung. Das gehört auch dazu. Das muss vorbereitet werden, aber auch die Trainer am Stützpunkt brauchen Unterstützung, vor allem im organisatorischen Bereich.
Sie standen 16 Jahre an der Spitze des deutschen Trainerteams. Wie hat sich der Rodelsport in dieser Zeit verändert, und welches waren rückblickend Ihre größten Herausforderungen?
Norbert Loch: „Es hat sich viel entwickelt, im Organisatorischen und in der Wettkampfgestaltung. Diese ist sehr professionell geworden in dieser Zeit. Wir haben professionelle, internationale Rodel-Wettkämpfe auf höchstem Niveau auf Bahnen weltweit. In den Bereichen Athletik, Start, Fahrdynamik auf der Bahn und in der Ausbildung der Athleten wird es immer schneller und professioneller. Die Schlittentechnik hat sich in den letzten Jahren unglaublich entwickelt. Wir haben längere Schienen, längere Kufen. Wir haben komplett neu gestaltete Doppelsitzer, wir fahren immer neue Bahnrekorde, das Eis entwickelt sich weiter, die Eismeister haben sich extrem weiterentwickelt, die Profilierungen der Bahnen sind viel besser geworden in den letzten 10 oder 15 Jahren. Das ist alles ganz entscheidend.
In den letzten 16 Jahren haben wir Top-Athleten hervorgebracht. Der Start ist umso wichtiger geworden. Im Nachwuchsbereich wird großer Wert auf die athletische Ausbildung gelegt, das sieht man auch massiv bei anderen Nationen. Auch in der wissenschaftlichen Betreuung aller Nationen ist eine extreme Entwicklung zu beobachten. Wenn man sieht, wieviel Personal manche Nationen inzwischen haben, Lettland, Österreich, USA und auch Deutschland, da sieht man was sich in diesen Jahren verändert hat…“
Sie waren mit Ihren Athletinnen und Athleten in Sachen Medaillenausbeute das Maß aller Dinge. Gibt es ein sportliches Event, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Norbert Loch: „Die WM 2016 am Königssee war ganz gewaltig. Sie war professionell organisiert. Wir hatten zum ersten Mal den Sprint-Weltcup dabei. Insgesamt war das eine sehr, sehr tolle Veranstaltung, mit tollen Side-Events und super Stimmung.
Überraschend waren für mich die Olympischen Winterspiele 2022 in China. Vorher waren wir sehr geteilter Meinung, aber die Chinesen haben das top organisiert. Das war eine großartige Veranstaltung, leider ohne Zuschauer.
Und nicht zuletzt die WM 2023 in Oberhof. Sie war herausragend für mich. Das sind tolle Erinnerungen, die bleiben werden.“
Haben Sie einen Lieblings-Weltcup-Ort und/oder eine Lieblingsbahn, die Sie künftig vermissen werden?
Norbert Loch: „Da möchte ich jetzt die Weltcup-Veranstaltungen in Sigulda hervorheben. Diese Nation stellt - mit relativ geringen Mitteln - unglaubliche Veranstaltungen auf die Beine. Alles ist dort top organisiert. Es kommt eine unglaubliche Anzahl an Zuschauern, die Stimmung ist sensationell. Da muss ich sagen, der lettische Verband macht das toll. Ich habe Sigulda schätzen gelernt und ich finde es unglaublich schön, dort zu fahren. Das Land hat sich großartig entwickelt und die Weltcups sind top organisiert. Es ist ein perfekter Ort für meinen letzten Weltcup.“
Gibt es einen besonderen Rat, den Sie Ihrem Nachfolger Patric Leitner mit an die Hand geben?
Norbert Loch: „Ja, den gibt es: Geh‘ deinen eigenen Weg. Ziehe deinen eigenen Stil durch und versuche das, was du als Athlet von verschiedenen Trainern mitbekommen hast, mit deinem eigenen Kopf umzusetzen!“
Welche Bedeutung hat die Kunsteisbahn am Königssee und deren Wiederaufbau für ihre neue Aufgabe?
Norbert Loch: „Meine Hauptaufgabe ist nicht die Bahn am Königssee, aber ich werde versuchen hier auch mit einzusteuern. Wir brauchen die Bahn unbedingt für die Nachwuchsarbeit als Sportstätte. Wir müssen unsere Athleten bei der Stange halten. Im Bob ist das nicht ganz so schwierig, das sind Erwachsene, die auch selbst reisen können. Aber vor allem dem Nachwuchs im Bereich Rodeln und Skeleton fehlt die Bahn am Königssee massiv. Ich möchte auch hier Trainern und Übungsleitern helfen und sie unterstützen“.
Nicht nur die Kunsteisbahn am Königssee wartet auf den Wiederaufbau, die Olympiabahn für 2026 ist noch in Planung – wie sehen Sie die Zukunftsaussichten für den Rodel- und Kufensport im Allgemeinen?
Norbert Loch: „Die Zukunftsaussichten des Schlittensports sehe ich absolut positiv. Es gibt sehr viele, großartige Bahnen mit immer besserer Infrastruktur. Nehmen wir einmal Lake Placid. Dort gibt man sich die größte Mühe, es existiert eine tolle Bahn und eine super professionelle Startanlage. Außen um die Bahn wurde ein fantastisches Eventgebäude errichtet. Ich bin der Meinung, dass Lake Placid so schnell wie möglich eine Weltmeisterschaft bekommen sollte. Das ist wichtig!
In Asien, in Nordamerika und Europa stehen attraktive Bahnen und Sportstätten. Diese sollten unbedingt genutzt werden. Wir sind auf einem guten Weg das Thema Nachhaltigkeit mit einer nachhaltigen Energiegewinnung und der effizienten Planung unserer Reisewege zu gestalten. Hier gibt es viele interessante Überlegungen für eine positive Zukunft. Der Sport ist so interessant geworden, die Konkurrenz zwischen den Nationen ist spannend. Man kann unseren Sport so attraktiv im Fernsehen herüberbringen. Ich bin der Meinung, weil wir so viele interessante Sportstätten haben, hat unser Sport Zukunft.
Aus meiner Sicht muss jetzt unbedingt in Cortina noch eine Bahn gebaut werden – das ist immens wichtig für unsere Südtiroler Freunde. Sie brauchen diese Bahn und diese passt perfekt in den Alpenraum, mit Igls, Königssee, St. Moritz und La Plagne! Aber dann ist es auch gut. Wir sollten unsere bestehenden Bahnen auslasten und nutzen. Dann haben wir in Zukunft attraktive Wettkämpfe und können großartigen Sport bieten. Um den Kufensport ist mir in Zukunft nicht bange.“
Ihre Frau Maria und Sie seid leidenschaftliche Camper und jeden Sommer mit dem Wohnmobil unterwegs. Haben Sie für den tatsächlichen Ruhestand schon eine längere Reise geplant?
Norbert Loch: „Ich habe schon die Fähre nach Griechenland gebucht. Natürlich werden wir ab Ende August wieder drei Wochen nach Griechenland fahren. Ansonsten wollen Maria und ich uns ein paar schöne Wochenenden und freie Zeiten gönnen.“
Vielen Dank für das Gespräch!