Interview mit der Vizeweltmeisterin Natalie Maag:
„Ich möchte Olympische Spiele mit den anderen Sportlern und Sportarten erleben!“
Lenzerheide (FIL/04.11.2024) Natalie Maag, die Schweizer Vizeweltmeisterin im Sprint bei der WM 2024 in Altenberg, steht vor einer spannenden, aber herausfordernden vorolympischen Saison. Die Änderung ihrer Paradedisziplin, die durch das neue Mixed-Event ersetzt wurde, stellt die Weltklasse-Athletin aus der Schweiz vor ungewohnte Bedingungen und neue Herausforderungen. Im Interview spricht die 27-Jährige über ihre Gedanken zur Disziplinänderung, ihre Ziele, die Sportförderung in der Schweiz und wie sie sich auf die bevorstehende Saison vorbereitet.
Natalie Maag, Ende November beginnt der EBERSPÄCHER Weltcup im norwegischen Lillehammer. Wie ist Ihre Saisonvorbereitung bisher verlaufen?
Natalie Maag: „Ich bin bis jetzt sehr gut in die neue Saison gestartet. In der ersten Rodelwoche in Lillehammer hatten wir top Bedingungen. Wir sind nur eine Zehntelsekunde über dem Bahnrekord gefahren und das ist wirklich toll für den Herbst. Danach waren wir eine Woche in Sigulda. Das ist eine meiner Lieblingsbahnen, weil man dort auf dem Schlitten richtig arbeiten darf. Daher fahre ich auch gerne in Altenberg.“
Im Rahmen des FIL-Partnerschaftsprogramms trainieren Sie mit der deutschen Mannschaft, werden auch von den deutschen Trainern und Betreuern bei den Wettkämpfen unterstützt. Seit wann ist das so und welche Vorteile bringt es?
Natalie Maag: „Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht mehr so genau. Gefühlt war das schon immer so. Mit 13 Jahren bin ich zum ersten Mal in Norwegen beim Jugend A-Weltcup gestartet und mit 14 in Innsbruck die erste Junioren-WM mitgefahren und seit dieser Zeit bin ich auf jeden Fall schon mit der deutschen Mannschaft unterwegs. Das geht auch gar nicht anders. Man muss ehrlich sagen, ohne die deutsche Mannschaft wäre ich jetzt nicht Vizeweltmeisterin. Meinen Schlitten baut Robert Eschrich und dass ich schnelles Material habe, das sieht man an den Ergebnissen der letzten Saison. Auf keinen Fall wäre ich da, wo ich jetzt bin ohne diese Partnerschaft."
Wie haben Sie das organisatorisch hinbekommen?
Natalie Maag: "In den letzten Jahren war die Zusammenarbeit noch enger, weil ich die meiste Zeit in Oberhof war. Seit letztem Jahr bin ich nur einmal im Monat in Oberhof. Die Schweizer Heimat hat mir schon sehr gefehlt. Und ich muss auch ein Stück weit meinen eigenen Weg gehen, mittlerweile fühle ich mich erfahren genug, um das erfolgreich zu machen. Ich weiß, wie ich mein Sommertraining gestalten muss. Mit meiner Schweizer Athletiktrainerin habe ich seit letztem Jahr einiges umgestellt und ich denke, der Erfolg hat uns recht gegeben.“
Auch im deutschen Team gab es einen Wechsel an der Spitze. Norbert Loch hat als Cheftrainer aufgehört, an seine Position rückte Patric Leitner. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Natalie Maag: "So ein großer Wechsel war dies gar nicht, weil ich schon in den vergangenen Jahren mehr mit Patric gearbeitet habe. Der will nach wie vor eng mit uns Athleten arbeiten."
Sie kommen aus einer Rodel-Familie. Ihre Mama und Ihr Bruder waren Rodler. Hat die Familien-Tradition Sie zum Rodelsport gebracht?
Natalie Maag: „Die Mama, mein Bruder und auch mein Vater waren im Sport. Ich bin beim Rodeln, denn bei mir im Nachbarort gab es eine Rodelbahn. Ich glaube das war bis in die 1960er Jahre so. Früher gab es dort auch Weltmeisterschaften und so sind beide Elternteile dazu gekommen. Das Rodeln war einfach immer in der Familie verankert. Jeder hat es mal probiert. Mein Onkel war bei den Olympischen Winterspielen in Lake Placid. Leider war er dort nicht so erfolgreich. Er hat das Ziel nicht erreicht.
Meine Mama war Rodlerin und ist jetzt mit im Vorstand von unserem Verband „Swiss Sliding“. Mein Bruder war bei den ersten YOG (Youth Olympic Games) 2011 in Innsbruck am Start. Inzwischen bin ich allerdings die Einzige aus der Familie, die noch dabei ist.“
In der Schweiz gibt es immer wieder Nachwuchsrodler. In Sank Moritz gibt es eine tolle Bahn. Trotzdem schafft es kaum ein Schweizer Rodler bis in den Weltcup. Was ist der Grund dafür?
Natalie Maag: „Ich bin ja auch hauptsächlich durch meine Familie, die mir viel Unterstützung gegeben hat, und dann durch die Partnerschaft mit der Deutschen Mannschaft so weit gekommen. In der Schweiz fehlen einfach die Infrastruktur und die Unterstützung.“
Das Schweizer Militär ist Ihr Arbeitgeber. Ist das Teil ihrer Sportförderung und welche Vorteile bringt das?
Natalie Maag: „Bis zum Jahr 2019 habe ich noch gearbeitet. Neben dem Leistungssport habe ich immer 50 bis 60 Prozent meiner Zeit gearbeitet, obwohl ich schon im Weltcup gestartet bin. Finanziell war das für mich und meine Familie nicht anders möglich. Das Leben in der Schweiz ist teuer und ohne Arbeit geht es als Rodler nicht. Martina Kocher, die erste Rodel-Weltmeisterin der Schweiz, war immer mein Vorbild. Sie war, soviel ich weiß, sogar die erste Frau bei uns im Zeit-Militär und deshalb war es schon mein großes Ziel, das auch zu schaffen. Im Jahr 2020, leider während der Corona-Zeit, durfte ich die Spitzensport-Rekrutenschule absolvieren. Danach ist man in der Schweiz für vier Jahre beim Militär angestellt. Es gibt nur neun Wintersportler im Land, die dieses Privileg genießen. Mit den neun weiteren Sommersportlern, werden aktuell in der Schweiz nur gesamt 18 Leistungssportler vom Militär unterstützt. Auf diese 18 Plätze haben sich über 50 Sportler beworben. Dass ich als Rodlerin beim Schweizer Militär aufgenommen wurde, ist eine große Ehre für mich und daher ziehe ich meine Uniform auch sehr gerne an und freue mich das Schweizer Militär repräsentieren zu dürfen.“
Im Januar 2024 sind sie bei den Sprint-Weltmeisterschaften im deutschen Altenberg Vizeweltmeisterin geworden. Sie haben mit der Weltmeisterin, ihrer Zimmerkollegin Julia Taubitz, auf deren Heimbahn gemeinsam gejubelt und gefeiert. Was bedeutet Ihnen Ihre Freundschaft und auch die sportliche Zusammenarbeit?
Natalie Maag: „Es ist einfach toll. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich jemanden wie Julia – eine Freundin und Leidensgenossin – im Winter dabeihabe. Wir können über alles reden. Ob das das Rodeln ist oder auch die persönlichen Belange. Wir sind jetzt schon so viele Jahre zusammen unterwegs und schöner hätte man die Geschichte nicht schreiben können. Es war sehr cool, als wir abends schlafen gegangen sind. Da habe ich gesagt: „Gute Nacht Weltmeisterin“ und Julia hat geantwortet: „Gute Nacht Vizeweltmeisterin!“. Für mich war das die größte Geschichte der WM, ein unglaubliches, gemeinsames Erlebnis.“
Der FIL-Kongress hat im Sommer 2024 beschlossen, dass der Sprint ab sofort durch das neue Mixed-Event ersetzt wird. Was sagen Sie, als Vizeweltmeisterin dazu?
Natalie Maag: „Ganz ehrlich, vor der WM 2024 mochte ich den Springt nicht, obwohl es eine Disziplin ist, die für mich sehr gut ist, weil ich nicht die Schnellstarterin bin. Wir Athleten haben immer gesagt, es ist nicht richtig, dass man für einen Lauf, bei dem nicht einmal die ganze Strecke vom Start weg angerechnet wird, die gleiche Anzahl an Weltcuppunkten bekommt, wie bei einem normalen Weltcuprennen mit zwei Läufen. Das fand ich nie verhältnismäßig. Schade ist natürlich, dass uns jetzt eine Einzel-Disziplin und damit eine Medaillen-Chance genommen wird. Aber es ist auf jeden Fall gut, dass der Sprint-Lauf nicht mehr so eine gravierende Auswirkung auf den Gesamtweltcup hat.“
Anstelle des Sprints gibt es jetzt das neue Mixed-Event. Leider startet derzeit kein männlicher Schweizer Rodler im Weltcup. Damit wird es auch kein Schweizer Team geben. Was sagen Sie dazu?
Natalie Maag: „Zum Glück dürfen die Nationen beim Mixed-Event gemischt werden. Das ist sehr cool für mich. Denn bei der Team-Staffel kann ich ja auch nie teilnehmen und das ist für mich der schönste Wettbewerb. Mit dieser neuen Mixed-Staffel darf ich auch einmal auf das Touchpad am Ziel schlagen, auch wenn ich das durchaus noch üben muss.
Wer wird Ihr Partner sein?
Natalie Maag: "Da man beim Mixed-Event die Nationen mischen darf, habe ich dem Australier Alex Ferlazzo geschrieben, ob er mit mir zusammen im Mixed Singles starten würde. Alex hat geantwortet, dass das für ihn von Anfang an klar war, dass wir zusammenfahren! Alex ist bei der WM in Altenberg Fünfter geworden. Und ich werde mit Alex Ferlazzo starten, weil ich Leistungssportlerin bin und wir möchten beide unser Bestes geben und nicht einfach nur dabei sein. Sehr lustig ist, dass wir bei den Junioren auch schon zusammen mit Schweiz und Australien in der Team Staffel gestartet sind, weil man in dieser Altersstufe die Nationen mischen durfte. Mein Bruder ist damals Doppel gefahren. Luca Hunziker und Christian Maag im Doppel, Alex Ferlazzo und ich im Einzel. In diesem Winter dürfen wir wieder gemeinsam antreten. Ich freue mich sehr darauf. Wir haben mit den Deutschen schon viel den Reaktionsstart trainiert. Es wird spannend und ist etwas ganz Neues für mich, wenn ich oben beim Reaktionsstart warte, bis das Tor aufspringt und dann unten in voller Fahrt dieses kleine Touchpad mit der Hand abschlagen muss.“
Was rechnen Sie sich aus? Ist ein Podium für das Team Schweiz-Australien möglich?
Natalie Maag: „Also ich denke es wird schwierig, weil die Deutschen, die Österreicher, die Letten und die US-Amerikaner jeweils zwei Teams stellen und natürlich sehr stark sind. Aber es wird schon spannend und ich denke, unmöglich ist es nicht. Für unseren Sport bringt dieser Mixed Wettkampf sicher sehr viel Aufmerksamkeit. Ich musste immer erklären, was der Sprint war und das Mixed-Event ist jedem von Anfang an klar. Es ist eine großartige Sache.“
Die vorolympische Saison mit der WM in Whistler steht an. Im Februar 2026 darauf finden dann die Olympischen Winterspiele in Mailand und Cortina statt. Was sind ihre nächsten sportlichen Ziele?
Natalie Maag: „Das ist schwierig zu sagen wegen der neuen Bahn in Cortina. Man weiß ja noch gar nicht, wie sie sein wird. Ich bete wirklich für Cortina, dass die Bahn fertig wird und wir dort Olympische Spiele fahren können. Ich möchte Olympische Spiele mit den anderen Sportarten und Sportlern erleben. Peking war schon nicht normal. Wenn wir jetzt noch auf einer Bahn in einem anderen Land fahren würden, wäre das nicht schön für uns Rodler und die Bobsportler.
Was die kommende Saison angeht, ist es noch schwierig, mir konkrete Ziele zu setzen. Ich habe einige Wehwehchen mit meiner Schulter und mit einer Fingerverletzung. Das hat sich ein bisschen auf das Training ausgewirkt. Mit den Zeiten auf der Bahn habe ich bisher beim Training sehr gut ausgesehen. Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre mit dem zwölften Platz zufrieden. Aber erstmal ist es das Wichtigste, gesund zu bleiben und die Saison durchziehen zu können.“
Vielen Dank Natalie Maag!
Fotos: Mareks Galinovskis und Klaus-Eckhard Jost